Legasthenie

Die Theorie

Legasthenie ist eine schwerwiegende Störung des Erwerbs der Schriftsprache. Die Problematik liegt langfristig vor. Sie zeigt sich darin, dass Betroffene Schwierigkeiten bei  der Umsetzung der gesprochenen in die geschriebene Sprache oder umgekehrt haben. Die Ursachen können genetische Dispositionen, Probleme bei der Sprachverarbeitung, oder auch Probleme bei der Aufnahme und Unterscheidung der Phoneme (Laute) sein. Des Weiteren kann Legasthenie auftreten, weil eine Person Schwierigkeiten mit der Wahrnehmungsverarbeitung (z.B. beim Hören oder Sehen) hat. Die genannten Ursachen können isoliert oder kombiniert auftreten. Betroffene Kinder sind aber weder minderbegabt noch schlecht(er) beschult.

Was sind differenzierte Wahrnehmungen?

Ein Lehrerkollege hat das vor vielen Jahren einmal sehr anschaulich beschrieben: „ Differenzierte Wahrnehmung eines Ereignisses heißt, dass dem einen nicht mehr aus dem Kopf geht, was dem anderen unter die Haut und wieder einem anderen auf den Geist geht.“ (Thom Renzie) Auf unseren Themenkreis bezogen heißt es also nicht anderes, als dass jeder Mensch einen Eindruck, ein Ereignis, einen Reiz anders wahrnimmt, anders aufnimmt und anders abspeichert. Der äußere Reiz mag derselbe sein, die innere Verarbeitung ist höchst individuell. Im Hinblick auf die (Schrift-)Sprache haben insbesondere Legastheniker eine ganz andere Verarbeitung (z.B. von einzelnen Graphemen und Phonemen) als Kinder ohne diese Problematik. Unsere Wahrnehmung geschieht über die fünf Sinne: Hören, Sehen, Fühlen/ Tasten, Riechen und Schmecken. Es können ein Bereich oder auch mehrere kombiniert für eine differenzierte Wahrnehmung verantwortlich sein, weshalb bei legasthenen Kindern in jedem Falle andere medizinische Befunde (Sehschwäche, Hörschwäche) ausgeschlossen werden müssen.

Was sind differenzierte Teilleistungen?

Ein Teilleistungsbereich ist der Visuelle. Um Schreiben zu können, muss die Unterschiedserkennung, beispielsweise bei einzelnen Buchstaben, funktionieren (=Visuelle Differenzierung). Des Weiteren benötigt man die Fähigkeit, sich das zu merken, was man gesehen hat (=Visuelles Gedächtnis) und es als komplette Serien abspeichern zu können, beispielsweise ein Wort als Serie verschiedener Buchstaben in fester Reihenfolge (=Visuelle Serienverarbeitung). Auch der akustische Bereich gehört zu den Teilleistungen, die man für das Lesen und Schreiben braucht. So muss man einzelne Buchstaben im Klang unterscheiden können (=Akustische Differenzierung), es sich merken können, was einem gesagt wurde (= Akustisches Gedächtnis) sowie die Fähigkeit besitzen, komplette Serien aufzunehmen und diese abzuspeichern (=Akustische Serienverarbeitung). Eine weitere Teilleistung ist die Raumwahrnehmung. Um beispielsweise Buchstaben wie „b“ und „d“ voneinander unterscheiden zu können, muss die unterschiedliche „Bauchausrichtung“ erkannt und entsprechend abgespeichert werden. Zuletzt ist das sogenannte Körperschema als wichtige Teilleistung für das Schreiben zu erwähnen. Jemand, der beispielsweise Probleme mit der Unterscheidung von rechts und links besitzt, schreibt möglicherweise spiegelverkehrt. All diese Teilleistungen müssen im Zusammenspiel funktionieren, damit Lesen und Schreiben (korrekt) gelernt werden kann. Entsprechend müssen die Teilleistungen, die als Ursache der Legasthenie ausgemacht werden können (dies kann eine oder auch mehrere gleichzeitig sein), gezielt trainiert werden.

Was sind Teilleistungsschwächen?

Eine Teilleistungsschwäche liegt dann vor, wenn einer (oder möglicherweise auch mehrere) der soeben beschriebenen Teilleistungen der jeweiligen Person Schwierigkeiten bereitet. Teilleistungsstörungen sind also Leistungsminderungen einzelner Faktoren, die man zur Bewältigung einer komplexeren Aufgabe, wie beispielsweise dem Schreiben oder Lesen, benötigt. Sie können auf organische Defekte oder entwicklungsbedingte Aspekte zurückzuführen sein. Viele Lernstörungen, eben auch Legasthenie und LRS, sind die Folge solcher Schwächen in diesen Teilleistungen.